Die EU hat ernsthafte juristische Bedenken zum so genannten Inländervorrang light, den das Schweizer Parlament aktuell zur Umsetzung der Masseneinwanderungs-Initiative (MEI) diskutiert. Das geht aus einem vertraulichen EU-Dokument hervor, das SRF zugespielt worden ist.
Der «Inländervorrang light» widerspreche in verschiedenen Punkten dem Personenfreizügigkeitsabkommen zwischen der EU und der Schweiz, heisst es dort. Das Dokument listet weiter verschiedene Punkte auf, welche die Schweiz sicherstellen muss, damit die Umsetzung der Masseneinwanderungs-Initiative das bestehende Abkommen nicht verletzt.
Der Nationalratsvorschlag
Der Vorschlag des Nationalrats zur MEI-Umsetzung – der Ständerat hat noch nicht darüber debattiert – schlägt mit dem «Inländervorrang light» ein abgestuftes Vorgehen vor. So soll der Bundesrat bei schwerwiegenden wirtschaftlichen und sozialen Problemen im Zusammenhang mit der Einwanderung von Personen aus der EU Massnahmen beschliessen können, um die Einwanderung zu drosseln.
Sollten diese Massnahmen das Personenfreizügigkeitsabkommen mit der EU verletzen, solle sich der sogenannte Gemischte Ausschuss damit befassen, so der Nationalratsvorschlag. Im Gemischten Ausschuss sitzen Schweizer und EU-Vertreter, um bei unterschiedlichen Ansichten in Bezug auf die Bilateralen Verträge eine für beide Seiten akzeptable Lösung zu finden.
Kaum Spielraum vorhanden
Die EU-Juristen kommen in ihrem Papier nun zum Schluss, dass beide Punkte gemäss den Abkommen zwischen der Schweiz und der EU nicht möglich seien. Insbesondere halten sie fest, dass der Gemischte Ausschuss gar keine Massnahmen beschliessen könne, welche die Personenfreizügigkeit in irgend einer Weise verletzen – dies sprenge das Mandat des Gremiums.
Aus Sicht der Brüsseler Juristen lässt das Personenfreizügigkeitsabkommen zwischen der Schweiz und der EU also keinen Spielraum für Einwanderungs-Restriktionen, wie sie die vom Volk angenommene SVP-Einwanderungsinitiative vorsieht.
Der Brexit ist Schuld
Unklar bleibt weiterhin, ob auf politischer Ebene zwischen der Schweiz und der EU Spielraum für einen Ausweg aus der vertrackten Lage vorhanden ist. Im Normalfall müsste die EU eigentlich auf den vom Nationalrat vorgeschlagenen Weg der MEI-Umsetzung einsteigen, um den Konflikt mit der Schweiz zu beenden. Zumal die Grosse Kammer zusichert, dass sich die Massnahmen immer im Rahmen des Personenfreizügigkeitsabkommens bewegen müssten.
Allerdings: Nach dem Brexit-Entscheid der Briten dürfte die EU sehr genau hinschauen, dass die Schweiz die Verpflichtungen aus dem Freizügigkeitsabkommen ganz genau erfüllt – um mit Blick auf die anstehenden Austrittsverhandlungen mit Grossbritannien nicht den geringsten Eindruck zu erwecken, die EU könnte bereit sein, an den eigenen Grundsätzen zu ritzen.
Reaktionen aus der staatspolitischen Kommission des Ständerates
CVP-Ständerat Pirmin Bischof: «In der Schweiz wird das die Auswirkung haben, dass die Umsetzung der Initiative noch härter ausfallen wird. Denn je pingeliger die Kritik aus Brüssel ist, desto weniger sind Schweizer Parlamentarier bereit, darauf einzutreten. Ich auch nicht.» |
FDP-Ständerat Philipp Müller: «Wir haben nicht jedes Mal mit den Knien zu schlottern, wenn die EU-Juristen oder wer auch immer von Seiten der EU mit dem Säbel rasselt. (...) Wir werden weiter daran arbeiten, den Inländervorrang zu optimieren und die Wirksamkeit zu verbessern.» |
CVP-Ständerat Stefan Engler: «Wir dürfen uns von der EU-Bürokratie nicht einschüchtern lassen. Nach meinem Dafürhalten wirken solche Äusserungen eher provokativ.» |